Wusstest du, dass du dich täglich unzähligen Entscheidungen stellst? Ob du morgens erstmal eine kalte Dusche nehmen, vor dem Frühstück meditieren, (zu viel) Süsses snacken, alles auf den letzten Drücker erledigen, schon wieder Zeit auf Tik Tok verbringen, abends noch ‘ne Runde Joggen gehen oder im neuen Jahr nun endlich weniger netflixen und rauchen, dafür mehr kochen und täglich Sonnenschutz brauchen sollst, verlangt jedes Mal eine Entscheidung von dir. Anstrengend, nicht? Zum Glück ist unser Hirn Meister darin, möglichst viele Entscheidungen, welche zu bestimmten Verhaltensweisen führen zu automatisieren. Unser Hirn, das ohnehin schon 20% unserer Energie verbraucht, obwohl es nur ca. 2% unseres ganzen Körpergewichts ausmacht, hat ein Interesse daran, möglichst energieschonend funktionieren zu können. Deshalb möchte unser Hirn möglichst viele unserer zu bestimmten Verhalten führenden Entscheidungen automatisieren. Je mehr Verhalten durch «unbewusste» Entscheide gesteuert wird, desto effizienter funktionieren wir. Das ist grundsätzlich etwas Gutes, denn stell dir vor, du müsstest jedes Mal bewusst entscheiden, wie, wann und wo du den Blinker beim Autofahren setzt oder ob du dir die Zähne nun putzt am Morgen oder nicht. Diese automatisch ablaufenden Verhaltensweisen, auch Gewohnheiten genannt, machen gemäss einer Studie von Wendy Wood und ihren Kollegen der Universität von Südkalifornien 40-45% unseres täglichen Verhaltens aus. Unser Hirn macht also tatsächlich einen ziemlich guten Job, um effizient und energieschonend zu funktionieren.

Aber was steckt hinter dieser «Automatisierung»? Wie kommt es dazu und wie kannst du etwas, was automatisch abläuft, wie zum Beispiel immer beim Warten an der Bushaltestelle eine Zigarette zu rauchen, obwohl du eigentlich schon lange damit aufhören wolltest, beeinflussen? Wie schaffst du es, diese effizienzsteigernde Funktion deines Hirns für dich und deine Ziele einzusetzen?

Genau das soll hier beleuchtet werden. Ich versuche dir zu zeigen, was eigentlich eine Gewohnheit zur Gewohnheit macht und wie du die sogenannte «Macht der Gewohnheit» für dich und deine Ziele nützen kannst.

Aber first things first:

Wendy Wood, Professorin für Psychologie an der Universität von Südkalifornien, ist eine führende Expertin bei der Erforschung von Gewohnheiten und sie beschreibt die Entstehung von Gewohnheiten als Lernprozess. Verhaltensweisen werden nämlich dann zu Gewohnheiten, wenn sie immer und immer wieder gezeigt und von einer Belohnung gefolgt werden. Gewohnheiten sind demnach also automatisch ablaufende Verhaltensweisen, welche auf bestimmte Reize oder in einem bestimmten Kontext erfolgen und (insbesondere zu Beginn) von einer Belohnung, die zur Dopaminausschüttung führt, gefolgt werden. Wiederholt sich dieser Reiz-Verhalten-Belohnungs-Kreislauf der sogenannte „Habit-Loop“ viele Male, werden aus Verhaltensweisen gefestigte Gewohnheiten.

Wie also diese „Automatisierung“ von Entscheiden bzw. von bestimmten Verhaltensweisen erfolgt, lässt sich auf neurologischer Ebene erklären. Bitte beachte, dass das ganze hier sehr vereinfacht erklärt wird und vor allem zum Ziel hat, dir eine Hilfe zu sein, damit du später besser verstehst warum du dir Gewohnheiten wie aneignen bzw. abgewöhnen kannst.  

Dein Hirn besteht aus unzähligen neuronalen Netzwerken, die du dir vorstellen kannst wie das Verkehrsnetz einer riesigen Metropole. Wenn du nun ein bestimmtes Verhalten zeigen bzw. neu aufbauen möchtest, z.B. morgens nach dem Aufstehen zu meditieren, fahren an den verschiedensten Ecken dieser riesigen Metropole kleine „Signal-Autos“ los. Zu Beginn fahren diese auf ganz dünnen Strassen. Dein Hirn braucht ziemlich viel Energie diese „Signal-Autos“ durch die noch dünnen, holprigen Strassen zu führen. Gerade auch deshalb, weil sich parallel dazu ganz viele andere automatisierte Verhaltensweisen, wie z.B. nach dem Aufstehen aufs Handy schauen, auf den bereits grossen, breiten Highways in unserem Hirn befinden. Denn je mehr du ein gewisses Verhalten zeigst und dieses Verhalten von einer Belohnung, also einem Dopaminausstoss gefolgt wird, desto „wichtiger“ schätzt dein Hirn diese kleinen holprigen Strassen ein und baut sie deshalb von schmalen, holprigen Strässchen zu grossen, breiten Highways aus. Durch die konsequente Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen, gefolgt von Dopaminausstoss, entsteht ein ausgewachsenes, gut beschütztes neoronales Netz, das dir erlaubt, unter viel geringerem Energieverbrauch, gewisse Verhaltensweisen, z.B. das morgendliche Meditieren, zu zeigen.

Faktoren, welche beeinflussen, wie schnell dein Hirn die kleinen Strassen zu grossen, stabilen Highways, also zu Gewohnheiten ausbaut, sind folgende:

  • Der Reiz: Dein Hirn merkt sich in welchem Kontext du welches Verhalten zeigst. Je deutlicher dein Hirn einen Reiz oder Kontext mit einem Verhalten in Verbindung bringen kann, desto stärker wird die Verbindung und desto „automatischer“ läuft dein Verhalten ab, sobald du dich in einem bestimmten Kontext mit einem bestimmten Reiz konfrontiert siehst. Also zum Beispiel, verknüpft dein Hirn das Warten an der Bushaltestelle mit dem Rauchen einer Zigarette.   
  • Die Belohnung: Wie stark dein Hirn diese Reiz-Verhalten-Kombo machen kann, hängt weiter davon ab, wie deutlich es eine darauffolgende Belohnung wahrnimmt. Möchtest du dir also z.B. angewöhnen die Treppe statt des Liftes zu nehmen ist es wichtig, dass du dir nach dem Treppensteigen eine kleine Belohnung gibst. Ja ich weiss, du denkst jetzt sicher, „wie kontraproduktiv ist das denn, wenn ich mir nach dem Treppensteigen wieder ein Schokoriegel rein ziehe“ aber darum geht es nicht. Es reicht schon, wenn du dir nach dem Treppensteigen bewusst gut zusprichst, dir ein Kompliment machst oder dir zumindest nicht in voller Atemnot denkst „man wieso tu ich mir das an, das bringt doch eh nichts, nächstes Mal nehme ich wieder den Lift“. Dennoch gilt natürlich, je grösser und passender die Belohnung und je besser dein Hirn die Belohnung und den Dopaminausstoss einem ganz bestimmten Verhalten zuschreiben kann, desto eher bilden sich Gewohnheiten.
  • Die Wiederholung: Wieso denkst du, ist es so schwierig, die eigene „Screen-Time“ auf dem Smartphone zu reduzieren? Dies liegt unter anderem an der Art und Weise, wie wir unser Handy nutzen, nämlich sehr automatisch und eher unbewusst. Wir zeigen diese „Smarphomen-Gewohnheit“ gemäss einer Studie des Zukunftsinstituts im Durchschnitt 85 mal pro Tag, wobei dieses Verhalten fast 85 mal pro Tag durch einen kleinen Dopaminausstoss, ausgelöst durch eine Nachricht, Likes oder auch einfach lustigen, schönen, interessanten Bilder, Videos, Artikel oder what so ever, gestärkt wird. Stell dir nun vor, wie unglaublich breit und gefestigt der „Highway unserer Smartphone Nutzung“ in unserem Hirn sein muss. Wiederholungen sind also essentiell beim Aufbau von gestärkten Gewohnheiten.

Wie häufig wir ein Verhalten in einer bestimmten Situation, gefolgt von einer Belohnung zeigen, ist massgebend für das Bilden von Gewohnheiten. Es ist daher wirklich nicht verwunderlich, dass es uns recht schwerfällt, das Workout, das wir einmal pro Woche machen, zur Gewohnheit zu machen und es gleichzeitig super schwer ist, eine so oft und stark verankerte Gewohnheit wie unsere Handynutzung zu beeinflussen.

Da wir aber im Ansatz verstehen, was in unserem Hirn abläuft, wenn wir Gewohnheiten aufbauen oder zeigen, können wir Tipps und Tricks daraus ableiten, die uns helfen, unsere Gewohnheiten zu beeinflussen und die „Macht der Gewohnheit“ für uns zu nutzen.

  1. Achtsamkeit: Werde dir deines Verhaltens, deiner Umgebung und deinen Gedanken bewusst. Wenn du dir z.B. etwas abgewöhnen möchtest, versuche zu erkennen und zu beobachten, wann bzw. in welcher Situation du dieses Verhalten zeigst. Versuche den «Reiz» zu eruieren und versuche im Anschluss auch die «Belohnung» zu erkennen. Du kannst dann versuchen den «Reiz» oder die «Belohnung» zu vermeiden oder diesen «Reiz» mit einem neuen Verhalten zu koppeln.
  2. Kleine Schritte gehen: Dadurch hast du eine höhere Wahrscheinlichkeit, das Verhalten wirklich ununterbrochen zu zeigen. Möchtest du also ein bestimmtes Verhalten zu deiner Gewohnheit machen, versuche es an bestehende Gewohnheiten, die du regelmässig zeigst, zu koppeln. Möchtest du beispielsweise mehr Wasser trinken, könntest du immer bevor du mit deinem Hund spazieren gehst ein kleines Glas Wasser trinken. Du nimmst dir nicht einfach vor 2 grosse Flaschen Wasser pro Tag zu trinken, sondern du knüpfst in diesem Beispiel dein Wunschverhalten an einen bestimmten Reiz, tust es mehrmals pro Tag und bekommst als Belohnung nicht nur Zeit mit deinem Hund, sondern bald auch noch andere gute Nebeneffekte, die das Wasser trinken mit sich bringt.
  3. Ausdauer zeigen: Gewohnheiten bilden sich nicht über Nacht. Sei geduldig. Und denk daran, wenn du ein Verhalten möglichst «schnell» zu einer Gewohnheit werden lassen oder dir abgewöhnen möchtest, musst du dieses Verhalten bewusst priorisieren, damit dein Hirn weiss, welche Strasse es zum Highway aus bzw. wieder zur Nebenstrasse abbauen muss.

Wie gesagt, fast die Hälfte unseres täglichen Verhaltens sind Gewohnheiten, die automatisch und unbewusst ablaufen. Die gute Nachricht ist aber, dass wir über die Möglichkeit verfügen, diese Gewohnheiten aktiv zu formen, so dass wir nicht nur im Hinblick auf unseren Energieverbrauch «effizient» funktionieren, sondern auch entlang unseren Zielen und Wünschen diese «Effizienz» bzw. «Macht» der Gewohnheit für uns nutzen können.